Es ist ein einmaliges Vorhaben: Morgen, am 15. September um 6 Uhr, soll die, am 13. Januar 2012 havarierte, Cost Concordia aufgerichtet werden.
Für das Aufstellen des Wracks gibt es nur einen einzigen Versuch. Misslingt er, muss das Wrack vor Ort in Einzelteile zerlegt werden, was jedoch unabsehbare Folgen für die Umwelt hätte. Die minutiös geplante Operation soll am Montagmorgen von Spezialisten der Bergungsfirmen Titan Salvage und Micoperi durchgeführt werden. Der Projektleiter Franco Porcellacchia versicherte jedoch bereits, dass das Schiff den Belastungen standhalten werde.
Momentan liegt das Kreuzfahrtschiff mit 65 Grad Schlagseite auf zwei Granitfelsen vor der Inse Giglio. Bei dem morgigen Vorhaben soll die Costa Concordia auf eine unter Wasser installierte Metallplattform gezogen und aufgerichtet werden. Der Schiffsrumpf ist über Stahlleinen mit Plattformen verbunden, auf denen schwere Hydraulikzylinder installiert sind. Diese Zylinder sollen die Leinen anspannen und das Wrack hochziehen. Zusätzlich sollen 15 backbord angebrachte Tanks mit Wasser befüllt werden, um die Rollbewegung zu unterstützen.
Das Parbuckling ist ein vorsichtiges In-die-Vertikale-Ziehen, das zehn bis zwölf Stunden dauern kann. Eine gigantische Konzentrationsarbeit für alle Beteiligten, die mit dem Bersten der Rumpfwände und einer großen Enttäuschung enden kann.
Den Bergungsversuch könnt Ihr über mehrere Webcams live verfolgen.
Sollte das Manöver jedoch gelingen, wird das Schiff den Winter aufrecht vor Giglio verbringen, noch mehr rosten und dann zum Abwracken abgeschleppt werden.
Projektleiter Franco Porcellacchia wird das Parbuckling überwachen. Der 60-jährige Ingenieur bringt zu Ende, was er einst mit Kollegen hoffnungsvoll begann: den Bau der “Costa Concordia”. Als technischer Direktor überwachte er damals die Konstruktion des Kreuzfahrtschiffs. Jetzt muss er das Wrack zu Grabe tragen.
Im Interview mit SPIEGEL ONLINE spricht Porcellacchia über Chancen und Risiken des Verfahrens:
SPIEGEL ONLINE: Herr Porcellacchia, wo werden Sie sich aufhalten, wenn der Startschuss zum Aufrichten der “Costa Concordia” fällt?
Porcellacchia: Ich werde auf Giglio sein, in unserem Büro, mit dem Management der Reederei Costa Crociere und Behördenvertretern. Meine Rolle wird es sein, die Informationen, die ich live von den Technikern bekomme, an sie weiterzugeben – als eine Art Bote.
SPIEGEL ONLINE: Sie werden nicht mittendrin sein, auf dem Wasser?
Porcellacchia: Doch, zwischendurch schon. Es gibt eine Barge, etwa 50 Meter vom Wrack entfernt. Dort werden sich die Techniker aufhalten, die das Parbuckling steuern und überwachen, die Knöpfe bedienen, wenn Sie so wollen.
SPIEGEL ONLINE: Der Versuch, das 290 Meter lange, über 35 Meter breite und 45.000 Tonnen schwere Wrack aufzurichten, ist eine Premiere mit unbekanntem Ausgang, der öffentliche Druck immens. Können Sie nachts noch schlafen?
Porcellacchia: Ich schlafe ausgezeichnet. Meine Kollegen und ich sind sehr gelassen. Wir wissen, dass wir das Beste gegeben haben, um diesen Moment vorzubereiten. Wir schauen mit Stolz und Genugtuung auf unsere Arbeit. Natürlich sind wir auch ein wenig angespannt in dieser außergewöhnlichen Situation, in der die Augen der Welt auf uns gerichtet sind. Aber damit kommen wir klar.
SPIEGEL ONLINE: Gibt es auf technischer Seite Schwachpunkte, die Ihnen Sorgen machen?
Porcellacchia: Wir haben alles genau berechnet und evaluiert. Aber der Moment, in dem durch die Wasserbefüllung der Tanks Gewicht auf die Schiffseite kommt, bleibt knifflig. Wir hoffen, dass genug Spannung auf den Stahlleinen ist. Wir brauchen etwa 6000 Tonnen Zugkraft, haben aber 12.000 zur Verfügung – eine ordentliche Reserve.
SPIEGEL ONLINE: Und wenn die “Costa Concordia” während der Operation zerbrechen sollte?
Porcellacchia: Die Wahrscheinlichkeit ist gering. Das Schiff hält die Belastung aus.
SPIEGEL ONLINE: Das sagen Sie, obwohl Sie nicht wissen, in welchem Zustand sich die Steuerbordseite befindet, auf der die “Concordia” liegt?
Porcellacchia: Sollten im Vorschiff kleinere Risse auftreten, gibt es einen Plan B. In diesem Fall richten wir den Großteil des Schiffes auf und kümmern uns später um den Rest. Es gibt jede Menge Erfahrungsberichte und Literatur zu Parbuckling-Operationen bei kleineren Schiffen. Wir haben es zwar mit einem sehr großen Schiff zu tun, aber keineswegs mit einem unbekannten Verfahren.
SPIEGEL ONLINE: Sollte das Parbuckling funktionieren, wird die “Costa Concordia” den Winter aufrecht vor Giglio verbringen, noch mehr rosten, und dann zum Abwracken abgeschleppt werden. Piombino und Palermo werben massiv für ihre Häfen. Wen bevorzugen sie?
Porcellacchia: Das ist eine schwere Entscheidung. Die “Costa Concordia” ist ursprünglich 35 Meter breit – mit den angeschweißten Tanks aber 60 Meter. Der Tiefgang liegt nicht mehr bei acht, sondern bei 18,5 Metern. Welcher Hafen kann ein solches Schiff aufnehmen? Wer hat die Infrastruktur und die technischen Möglichkeiten, es auseinanderzubauen? Es gibt viele Bewerber, aber nur die wenigsten bringen die Voraussetzungen mit.
SPIEGEL ONLINE: Wie kann es sein, dass diese Frage noch nicht geklärt ist? Wird die “Costa Concordia” vielleicht gar nicht mehr transportfähig sein, wenn es so weit ist?
Porcellacchia: Ich will sie erst mal stehen sehen! Wir brauchen doch zuerst Daten darüber, wie sie sich auf See verhält. Wenn wir die haben, können wir anfangen, uns zu überlegen, wie weit sie überhaupt geschleppt werden kann.
SPIEGEL ONLINE: Sie beaufsichtigen nicht nur das Parbuckling-Projekt, Sie haben auch als ehemaliger technischer Direktor von Costa Crociere den Bau des Kreuzfahrtschiffs begleitet.
Porcellacchia: Ja, das ist Ironie des Schicksals. Mit viel Freude haben wir das Schiff damals gebaut, waren begeistert davon, dass es wintertauglich war, mit überdeckten Bereichen und einer enorm großen Spa-Sektion – das hat uns sehr gefallen. Jetzt muss ich mich mit dem Abwracken der “Concordia” befassen. Das ist traurig, aber ein Teil meines Jobs.
SPIEGEL ONLINE: 32 Menschen kamen bei der Havarie am 13. Januar 2012 ums Leben. Noch immer werden zwei Menschen vermisst. Was passiert, wenn Sie während der Bergung deren sterbliche Überreste finden?
Porcellacchia: Daran möchte ich gar nicht denken. Ich halte es für unwahrscheinlich, dass wir etwas finden, aber wir werden den Ermittlungsbehörden natürlich in jeder Weise zur Seite stehen. Die Reederei hat Kontakt zu den Hinterbliebenen und wird sie auf dem Laufenden halten.
SPIEGEL ONLINE: Der Unglückskapitän Francesco Schettino muss sich derzeit in Grosseto vor Gericht verantworten. Wie beurteilen Sie sein Krisenmanagement?Porcellacchia: Ich habe keine Meinung zu Schettino. Ich bin nur ein kleiner Ingenieur. Ich werde mich zu seiner Person und seinem Verhalten nicht äußern. Das überlasse ich dem Gericht
Quelle: SPIEGEL ONLINE